Das Streben nach Struktur und Ordnung in den neuen Arbeiten von Bernard Ammerer
„Was nun andererseits die Menschen gesellig macht ist ihre Unfähigkeit,
die Einsamkeit und in dieser sich selbst, zu ertragen. Innere Leere und
Überdruß sind es, von denen sie sowohl in die Gesellschaft, wie in die
Fremde und auf Reisen getrieben werden.“
- Arthur Schopenhauer (1788 - 1860), deutscher Philosoph
Sie laufen, sind in Bewegung, scheinen vor dem Betrachterauge zu fliehen. Und auch wenn sie innehalten, am Boden sitzend, liegend oder stehend, lastet eine große Anspannung auf ihnen: die Protagonisten in Bernard Ammerers Bildern sind ruhelos. Getriebene im lauten Getriebe unserer Welt. Doch der Künstler hält sie fest, ihn verschiedenen Posen ist ihr Tun wie eingefroren. Ammerer nimmt seine Menschen aus der Zeit.
Dem Künstler dienen als Ausgangspunkt der Malereien Fotos, meist eigene Schnappschüsse von Freunden, Bekannten oder auch Landschaften. Aus diesem Fundus sucht er seine Motive aus, findet eine Haltung oder Geste, die bildtauglich ist, eine Bewegung, die vielleicht mehr enthält als das oberflächlich Sichtbare. Mit der malerischen Umsetzung beginnt der Prozess der Transformation, aus einem Schnappschuss wird ein Bild, ein malerisches Zeugnis, das über den Moment hinausgeht. Ammerer schält seine Protagonisten aus ihrem natürlichen Umfeld heraus und lässt sie isoliert vor weißen Hintergrund erscheinen, oder er setzt sie in eine neue Umgebung. Der Künstler bevorzugt anonyme urbane Settings und Naturräume, wir sehen feine zeichnerische Skizzen, bisweilen malerisch ausformulierte Landschaften, jüngst aber vermehrt auch nur geometrische Muster und Konstrukte.
Ammerer weiß um die kompositorischen Bildgesetze und versteht, diese anzuwenden. Im Zentrum der titelgebenden Arbeit „State of Mind“ sehen wir eine Läuferin, die von zwei im Vordergrund sitzenden Rückenfiguren flankiert wird. Beinahe wie gespiegelt lenken sie den Betrachterblick in die Bildmitte, auf die sich entfernende Protagonistin. Die zentralperspektivisch fluchtende Autobahnstraße gibt die (Lauf-)Richtung vor, subtil eröffnet ein Straßenpfeil nach rechts aber auch noch einen anderen möglichen Weg. Die streng waagrechte Autobahnbrücke auf Beckenhöhe der Läuferin wirkt trotz ihrer zurückhaltenden Skizzierung wie eine unüberwindbare Barriere oder Grenze: der Horizont ist nicht frei, die klare Sicht auf die Zukunft bleibt versperrt.
Ammerers Malereien spiegeln nicht wie fotografisch eine Wirklichkeit wider, sondern stellen emotionale gesellschaftliche Zustände dar. Die jungen Menschen in legerer Kleidung scheinen nah, doch gleichzeitig halten sie uns auf Distanz. Es sind gefühlsmäßig einsame, isolierte Gestalten, zwar kompositorisch miteinander verbunden, stehen, sitzen oder laufen sie doch für sich allein. Manche rennen in das Bild hinein, wenden uns den sprichwörtlichen Rücken zu und verweigern jegliche Form der Kommunikation. Andere schauen, sich nah am Rand der Leinwand aufbauend, forschend aus dem Bild, doch wenn ihr Blick den Betrachter trifft, scheint das eher zufällig denn bewusst oder gewollt zu sein. Ihre Sicht ist nach innen gekehrt, melancholisch in Gedanken versunken, selbstbewusst und trotzig, gleichzeitig aber doch verunsichert, auch fragend: „Was macht uns zu den Menschen, die wir sind? Welche Rolle kommt mir im Leben zu, welche spiele ich in der mich umgebenden Welt? Und wer bin ich wirklich?“ Es ist naheliegend, Themen wie Identität und Identitätsfindung mit Bildern von Jugendlichen und jungen Erwachsenen Ausdruck zu verleihen, ist die Jugend doch jene Zeit, in der sich das Individuum formt. Gleich naheliegend ist aber auch, dass der Künstler Personen seines Alters und aus seinem Umfeld als malerisches Vorbild wählt. Ammerers junge Protagonisten stehen für den Menschen und das Menschsein an sich.
Das gewichtige Wort „Person“, mit zarter Schrift hundertfach geschrieben, formt das fragile Portrait einer junger Frau und eines Selbstbildnisses, in anderen Arbeiten umkreist es, zu Wortwäldern verdichtet, ein Gesicht oder einen Körper oder steht in großen Lettern vor einer weiblichen Figur, wie aus deren Gedankenwelt entsprungen, zum Wort im Bild werdend. Im philosophischen Sinne wird dem Menschen als „Person“ eine gewisse Freiheit der Entscheidung und Verantwortlichkeit für sein Handeln zugeschrieben. Doch hat er diese wirklich und wenn ja nützt er sie? Ammerer interessiert der Mensch als soziales Wesen, wie er sein Leben in der heutigen Gesellschaft entwirft und gestaltet, besonders aber auch der Versuch, es (durch) zu planen, zu strukturieren. Und er sich selbst vielleicht gerade so seiner Freiheit beraubt. Die Umgebung, in die der Künstler seine menschlichen Figuren setzt, erscheint in ihrer klaren, oft auch kalten Struktur und Funktionalität wie ein Spiegelbild dieses Tuns.
Nie ist die Natur alleine Bildgegenstand – auch nicht in den Landschaften ohne Figur – der Mensch ist und bleibt präsent. Der Künstler zeigt eine berührte, durch Menschenhand konditionierte und veränderte Natur, eine geregelte und strukturierte Landschaft. Immer wiederkehrendes Motiv ist die Straße, dargestellt aus der Sicht des Autofahrers. An seinen Seiten vorbeiziehende Landschaften und vor sich die schier endlose Weite der Straße sind Sinnbilder für Freiheit(sdrang) und Abenteuer. Doch gleichzeitig fallen Betonwand und Asphalt, Straßenbegrenzungen und Hinweisschilder ins Auge. Diese Infrastruktur ist in Ammerers Bildern nicht ohne ästhetischen Reiz, doch gleichzeitig lässt sie den schönen Schein und die Begrenztheit des Freiheitsstrebens erkennen. Der Mensch gibt der „wilden“ Natur Struktur – ob mit Autobahnen, Agrarlandschaft oder aufgeforsteten Wäldern (die sich am Straßenrand erahnen lassen) und macht sie zur benutzerfreundlichen, konsumierbaren Landschaft. Das unmittelbare Naturerlebnis geht aber verloren. Und wenn etwa das Bild „Seacape“ wie eine schöne, fast romantische Naturlandschaft erscheint, täuscht auch dieser erste Eindruck. Ein rätselhaftes Bauwerk im nebligen Hintergrund stört die Stimmung. Es könnte sich um ein Atomkraftwerk handeln.
In neuen Malereien bricht Ammerer die Horizontale der Straße mit schmalen vertikalen weißen Balken auf, er zerstört das homogene Bildgefüge und auch den Rest einer romantischen Landschaftsschau. Die Natur am Straßenrand wirken fragmentarisch, wie aufgesplittert lässt sie an virtuelle Bildstörungen unseres Medienzeitalters denken. Zeitgleich entstehen Arbeiten wie „Fliesenleger“ mit einer nur mehr geometrisch reduzierten, an Computergrafik und Piktogramme erinnernden Idee von Raum und Landschaft. Sie sind eine konsequente Fortsetzung Ammeres Weges, hohe kompositorische Ansprüche und inhaltliche Fragestellungen feinsinnig miteinander zu verschränken: Ein Koordinatensystem definiert den Handlungsraum der Menschen und legt gleichzeitig dessen Richtung und Grenzen fest. „Fliesenleger“ mutet wie der gelungene malerische Versuch an, unter die Oberfläche menschlichen Handelns zu blicken – sei es nun im Umgang mit der Natur, in der Beziehung zur sozialen Umwelt, aber auch zu sich selbst. Alles ist miteinander verwoben. „Unser Zeitalter ist eine einzige Frage nach der menschlichen Identität“, schreibt der kanadische Aphoristiker Willy Meurer. Bernard Ammerers Bilder erzählen viel davon.
Günther Oberhollenzer, Kurator Essl Museum, Klosterneuburg / Wien
The artist has committed himself to figurative painting and painterly realism and shows decisive moments in his pictures, situations on the brink, bodies at the extreme limit of endurance, scenes from everyday life in youth culture. The pictorial events cannot be fully grasped; the protagonists in Ammerer's pictures connect with the viewer as if they were inviting them to think about the situation further.