Recent Works, 2012

Harald Gangl
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Galerie Frey Wien

Über DIE Ausstellung

FARBE ALS PASSION

Notizen zur rezenten Malerei von Harald Gangl

von Mag. Carl Aigner

Die Farbe hat mich…Ich bin Maler
- Paul Klee

Farbwelten

Von Beginn der europäischen Malerei an hat die Farbe über Jahrhunderte eine vielfältige und vielgestaltige Aufgabe inne. Ihre Polyvalenz reicht von Aspekten der Symbolisierungen bis hin zur Synonymisierung von Leben, von mystischen Implikationen bis zu Realismen des 19. und 20. Jahrhunderts. Doch kein Ereignis war im 19. Jahrhundert für die Farbe in der Malerei folgenreicher und eruptiver als das Auftreten der (oft naturwissenschaftlichen Erkenntnissen von Farbe und Licht folgenden) impressionistischen Malerei und in Folge der prä-expressionistischen Werke eines Van Gogh oder kunsthistorische Positionen eines El Greco.

Mit dem Erscheinen des Expressionismus zu Beginn des 20 Jahrhunderts (und ihren spät- und neoexpressiven Diskursen im Verlaufe des letzten Jahrhunderts) wird die Farbe zum Synonym für Abstraktion schlechthin. Ihre Autonomisierung im Hinblick auf Gegenständlichkeit ließ sie zu einem genuinen Ereignis in der Bildenden Kunst werden. Die Freisetzung der Farbe von ikonographischen Bezügen ermöglichte einen postretinalen Diskurs der Malerei, die wie kein anderes Phänomen die Malerei bis heute „formatiert“: „Solange die Kunst vom Gegenstand nicht loskommt, bleibt sie Beschreibung, Literatur…“, schreibt Paul Klee diesbezüglich 1913. Die Farbe erfährt einen genuinen Seinstatus, der die Malerei des 20. Jahrhunderts existentiell konstituiert, denken wir etwa an die so genannte „Farbfeldmalerei“ der Nachkriegszeit.

Architekturen der Farben

Es ist das Phänomen Farbe, welches für Harald Gangl den Weg zur Malerei öffnete. 1959 in Klagenfurt geboren, begann er 1983 sein Studium an der Akademie der Bildenden Künste in Wien und schloss in der Meisterklasse Hollegha 1988 mit Diplom ab. Seit den 1980er Jahren ist die Malerei mit Ölfarbe das Medium des künstlerischen Arbeitens von Harald Gangl.

Trägermaterial ist weiß grundiertes Molino, eine gröbere Baumwollleinwand, die als Eigenschaft eine besondere Saugkraft und damit Haftung in Bezug auf den Farbauftrag impliziert. In vielfältiger Weise wird dabei die Farbe aufgetragen: mittels Pinsel, Walze, Spachtel oder nur mit den Händen. Gangl präferiert keine reinen Farben oder gar das Prinzip der Farbkomplementarität. Unterschiedlichste Farbvaleurs werden in einer vielschichtigen, quasi farbarchitektonischen Malweise Schicht für Schicht aufgetragen, immer wieder auch wieder abgetragen, bis es zu monochromisierenden Farbflächen und – architekturen kommt.

In feinen Farbnuancen und –übergängen sind die Farbarchitekturen geprägt von zeichnerischen Gebilden, zarten Linienverläufen, welche die Farbmalerei graphisch akzentuieren und äußerst dünnflüssig, fast transparent aufgeführt werden(insbesondere jene Bildwerke, die stark in Schwarz- und Grauwerten gehalten sind). Beeindruckend die Tonwerte einzelner Farbelemente und deren verdichtete Verschmelzungen, die einen starken farbkosmischen Eindruck vermitteln. Wesentlich dabei ist der Charakter des Prozesshaften. Es gibt kein konzeptuelles oder zunächst theoretisch begründetes Vorgehen. Bis zum letzten Moment des Malens ist das Bild in einem Status nascendi, bedingt vor allem durch eine primär intuitive Arbeitsweise, die dem Moment des Empfindens folgt und nicht einer rationalen Gestaltung. Auch daraus resultiert das Faktum, dass die Formfrage des Bildes eine farbkompositorische ist.

Vom Sein der Farbe

Farbe ist das Elixier der Malerei von Gangl. Dabei wird sie weder auf ästhetische, physikalische, psychologische oder spirituelle Aspekte reduziert. Vor allem auf die Farblehre von Wolfgang Johann von Goethe replizierend – „Die Farben sind Taten des Lichts, Taten und Leiden“ – haben sie für den Künstler einen wesenhaften Charakter des Lebendigen. Sie sind für ihn, wie er selbst betont, „lebendige Wesen“. Die Farbe erfährt so einen ontologischen Status im Akt der Malerei und ist nicht ein bloß ästhetisches Erlebnis.

Dieses Verständnis einer Wesenhaftigkeit von Farbe lässt sie zu einem unabdingbarem „Gegenstand“ seiner Malerei werden. Insofern ist die Malerei von Gangl nicht abstrakt, da sie nicht von irgendwelchen (realen) Gegenständen abstrahiert, sondern in kontextuellem, referenzbezogenem Sinn gegenstandslos, da ihr Gegenstand das Material der Malerei, hier also die Farbe selbst, ist. Farbe wird als eigene Entität und Kraft begriffen, als autochthones Phänomen, welches dem Bild einen „Körper“, also Leben gibt. Farbe ist kein Hilfsmittel der Malerei mehr, sondern gewissermaßen ihr absoluter „Seinszustand“, in der Sprache der Musik ihr „Organum“. Paul Klee hat es im Hinblick auf die Aquarellmalerei vortrefflich formuliert: „Und nun noch eine ganz revolutionäre Entdeckung: Wichtiger als die Natur und ihr Studium ist die Einstellung auf den Inhalt des Malkastens. Ich muß dereinst auf dem Farbklavier der nebeneinander stehenden Aquarellnäpfe frei phantasieren können.“

Weder Raum noch Fläche, sondern Musikalität

Harald Gangl bezieht sich im Gespräch mit seiner bildnerischen Arbeit immer wieder auf Termini der Musik. So wie Töne eine fundamentale Seinsweise von Musik sind, ist es für ihn auch die „Klaviatur“ der Farben. Selbst langjähriger Musiker, ist für ihn der Begriff der „Komposition“ als Ausdruck für die Bildgewinnung von großer Relevanz. Beim Betrachten seiner Werke stellt sich ein eigentümlicher Bildeindruck ein: Weder Bildfläche noch Bildraum werden geschaffen, die außerordentliche Sinnlichkeit seiner Malerei fußt auf etwas Drittem, höchstens mit dem Begriff der Musikalität annähernd beschreibbar. Um noch einmal Paul Klee zu bemühen: „ Immer mehr drängen sich mir Parallelen zwischen Musik und bildender Kunst auf…Sicher sind beide Künste zeitlich…:die Ausdrucksbewegung des Pinsels, die Genesis des Effektes.“ So wie Töne nicht ein Attribut von Musik sind, sind auch die Farben kein Attribut der Malerei für Gangl. Die Seinsweise seiner Malerei kann analog zur Seinsweise der Musik gesehen werden: Ihr Raum ist Zeit, so wie die Bildfläche der Malerei selbst auch Zeit ist. So evoziert die Malerei von Harald Gangl ein synästhetisches Verlangen: Mit den Augen zu hören, mit den Ohren zu sehen (man denke nur an die gestische Malerei eines Markus Prachensky oder Hans Staudacher, die bei vielen Werkserien ohne den „Background“ der Jazzmusik nicht denkbar wäre).

Dies gilt auch für seine neuen, erst seit einem Jahr realisierten Ölmalereien auf Papier. Mit Walzen variierender Druckkraft aufgetragen, mit zwei bis drei Lasuren am Ende des Malprozesses versehen, offerieren sie einen gänzlich anderen Charakter: experimenteller, auch spielerischer, haben sie keinen „symphonischen“, sondern einen improvisatorisch-„kammermusikalischen Klang“ und wirken wie essayistische Notationen: Bild-Stücke als Musik-Stücke - bei manchen denkt man unwillkürlich an Amadeus Mozart, bei manchen an Edvard Grieg, immer wieder an John Cage, vor allem aber auch an Miles Davis.

Ausklang

Warum nicht mit Paul Klee enden: „Das ist der glücklichen Stunde Sinn: ich und die Farbe sind eins.“ (Tunis, 16. April 1914)

Literaturhinweise

Paul Klee: Kunst-Lehre, Leipzig, Reclam Verlag 1987

Paul Klee: Tagebücher 1898 – 1918, Köln, M. Dumont Schauberg, 1957

Wilfried Liebchen: Goethes Farbenlehre, Sandberg-Kilianshof 1999

Gespräch des Autors mit Harald Gangl am 22. 10. 2012 in seinem Atelier in Wien

über den Künstler

Ausschnitt vom Katalogtext von Mag. Sonja Traar 

Harald Gangl reduziert in dem Maße, in dem die Fülle seiner Bildsprache zunimmt – je mehr er sich abverlangt, je tiefer er in die Farbtöne eintritt, um so reicher ist das Ergebnis – reich an gedanklicher Fülle, aber auch reich an ertastbarem und fühlbarem Material. Wenn wir uns nun nach langer Zeit von dem Bild abgewandt haben, bleibt mehr ein Geschmack und ein Klang in uns zurück, als eine bildliche Vorstellung. Wir haben, ohne es zu merken, mit dem Bild gesprochen, es hat uns in eine wortreiche Unterredung verwickelt, einmal ganz laut, dann wieder ganz leise. Und wir haben, ohne es erkannt zu haben, einen Ausschnitt der Welt gesehen: Wir haben unterschieden zwischen Himmel und Erde, haben einen Schneesturm gesehen die Oberfläche einer Lacke oder die weite Landschaft Afrikas, das Flimmern über der Wüste oder den Sprühregen eines Wasserfalls im fernöstlichen China. Auf jeden Fall ist es eine ganze Menge, auf jeden Fall viel zu viel, um es mit dem losen Wort „Abstraktion“ abzutun – und wenn wir nur sagen können, es ist „schön“, so sei uns das zugestanden, denn um die ganze Fülle der Erlebniswelt auszudrücken, die wir durchlebt haben, fehlen uns die Worte.

Pressestimmen

  • Mag. Carl Aigner , 2013 DE
  • Mag. Sonja Traar DE
  • Mag. Carl Aigner, ATMOSPHÄREN, 2019
  • Zum Amalgam von Licht und Farbe im Werk von Harald Gangl
Wäre nicht das Auge sonnenhaft,
die Sonne könnte es nie erblicken…
– Goethe

Sind es Unterwasseraufnahmen? Diffuse Wolkenformationen? Oder Schneegestöber? Farbeffekte von Mikrophotographien? Reste einer Farbpalette? Feuerspuren? Bloße Lichtreflexe? Kosmische Geschehnisse? Extreme Vergrößerungen winziger Objekte? Mit dem Aufkommen einer sogenannten „gegenstandslosen“ Malerei, ob „peinture informel“, Tachismus oder „Gestische“ Malerei, wird nicht nur das Bild vom Gegenständlichen befreit, sondern ebenso der Blick auf das Werk selbst, der sich jenseits von Gegenständlichem konstituieren kann. Losgelöst von Figurativem, wird das Bild zu einer Membran von Intrinsischem und Extrinsischem. Die literarische Moderne prägte dafür den Begriff „stream of consciousness“: innere Bewusstseinsströme bzw. innerer Monologe, die für den Leser erst durch Verbalisierungsströme sichtbar und rezipierbar werden (James Joyce Roman „Ulysses“ ist ein paradigmatisches Beispiel).

Die informelle Malerei arbeitet mit derselben Verfahrensweise. Analog dazu können wir also die Malweise von Harald Gangl als „inneren Monolog“ skizzieren, wobei anstelle von Schrift Farbmaterialien fungieren, mit denen er „spricht“, beziehungsweise „schreibt“. Seine informelle Malerei – die nur partiell einen klassischen gestischen Charakter aufweist – ist ein komplexer, prozessualer Vorgang. Die selbstbespannte Molino-Leinwand (sie muss sehr stark gespannt sein, um sein Malprozedere realisieren zu können) wird vorgeleimt und mit Malweiss (Kreidegrund) grundiert, aber auch Fabriani-Papier ist ein wichtiges Trägermaterial. Damit ist die Basis für die darauf entstehenden Farbarchitekturen geschaffen. Malschichten werden mittels Pinsel, Händen, Spachtel oder Walze in einem intuitiven Prozess aufgetragen und immer wieder abgeschabt, abgekratzt und neu aufgesetzt.

 Die so entstehenden Malspuren ermöglichen äußerst fein nuancierte Farbelemente und Farbübergänge, die ineinanderfließen und jede Konturierung verweigern. So wie im „inneren Monolog“ die Wörter ineinanderfließen (und oft keine Satzbauten aufweisen), gehen bei Harald Gangl die Farbvaleurs ineinander über und bilden die für ihn typischen Farbtexturen. Ihm geht es nicht um eine konzeptuelle, sondern um eine atmosphärische Bildgewinnung. Seine dabei entstehende „Rhetorik“ der Farben bewirkt eine lebendige Bildfläche und gleichzeitig auch durch die minutiöse Schichtenarchitektur seiner spontan-filigranen Malweisen einen äußerst inspirierenden Bildraum. In den rezenten Arbeiten finden sich noch feinere Lasur-Schichten, fragil wirkende Farbelemente, die das Bild-Räumliche weiter akzentuieren.

Die sich im Sinne des Figurativen einer Gegenständlichkeit verweigernden Malerei verfügt über wenige Instrumentarien einer Bildgestaltung. Farbe, quasi-organische Formen sowie Licht sind die Basisingredienzien, aus denen sich der Bildkosmos generieren kann. Augenblicksempfindungen sind dabei gewissermaßen der Treibstoff des Malens. Die daraus resultierenden „Bild-Stimmungen“ evozieren unendliche Innerwelten. Bei Harald Gangl sind es Lichtwelten, die sich aus den Farbräumen entpuppen, wie überhaupt die Gewinnung von Bildlicht den Grundton seiner Malerei bildet. Es ist die dabei entstehende Bildtransparenz, die einen dematerialisierenden Farbeffekt bewirkt. Licht als Ursprung allen Lebens erfährt in den Arbeiten des Künstlers beinahe eine „gotische“ Dimension: das Materiale transzendierend, mutieren die Farben selbst zu Lichtwelten, zu unendlichen spirituellen Weiten, zu einem grenzenlosen Wahrnehmungskosmos.

Die Amalgamierung von Licht und Farbe formt die subtilen Maltexturen der Werke; sind, metaphorisch gesprochen, ihre Klangsphären und erfordern vom Betrachter eine Einstimmung des Blicks, sozusagen ein Hören der Farben, um ihre Klangvaleurs wahrnehmen zu können. Die Freisetzung des Blicks von Figurativem ermöglicht seinen „inneren“ Blick und  wird dadurch auf sein je eigenes Sehen verwiesen: Was sehen ich, wenn ich scheinbar nichts sehe? Das Sehen als immaterieller Vorgang einer Weltwahrnehmung findet erst im „gegenstandslosen“ Bild seine genuine Sichtbarkeit. Die Trennung von Blick und Auge als zwei Sphären des Sehens, wie sie etwa Jacque Lacan skizziert hat, impliziert eine spezielle Subjektkonstituierung qua Wahrnehmung. Es ist kein Zufall, dass die Wahrnehmung von retinal nicht Sichtbarem mit den Erkenntnissen des Unbewussten von Freud, diese mit der Erfindung der Röntgenphotographie, der Relativitätstheorie von Einstein und dem Entstehen „abstrakter“ Kunstformen zeitlich korreliert. Das Jahrhundertcredo von Paul Klee – „Kunst gibt nicht das Sichtbare wieder, sondern macht sichtbar“ – öffnet das Bild für eine neue Form der Imagination jenseits einer ikonischen Welterfahrung. Es geht um nichts geringeres als um eine neue Ästhetik, evoziert durch die Loslösung der Farbe von ihrem Gegenstand, also durch ihre Autonomisierung im künstlerischen Bildprozess. Das Licht wird dabei zu einem neuen Bild-Gen: Nicht mehr von außerhalb kommend, ist es nun ein „intrinsisches“ Bildphänomen.

Auch die neuen Arbeiten von Harald Gangl „erzählen“ uns von diesem Bildparadigma: Dass das Sehen mehr ist als ein ikonisches oder psychologisierendes Wahrnehmen der retinalen Welt. „Selbstseher“ betitelt Egon Schiele ein Werk – und geht es nicht auch darum, sich selbst sehen zu sehen? Die Absenz einer Außenwelt darf nicht als deren Verweigerung gesehen werden, sondern als deren „informelle“ Erweiterung beziehungsweise als Extensivierung des Lebens und als Weg aus dem ikonographischen Dschungel ins Freie der Bilderwelten.

Mag. Carl Aigner, ATMOSPHERES, 2019
siehe dazu auch: www.haraldgangl.com
Ansicht Art.Fair Köln 2012 © Boris Breuer

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